Literaturtipps für die Schule
(bearbeitet von Dietmar Schug, RFB Sk)
Titel für die Lehrerbibliothek
2017
2018
2020
Titel für die Jahrgangsstufe 13
2016
2017
2018
2019
2020
Titel für die Jahrgangsstufe 12
2016
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Titel für die Jahrgangsstufe 11
2016
2017
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2020
Titel für die Jahrgangsstufe 9/10
2016
2018
2019
2020
Christian Boeser-Schnebel / Klaus-Peter Hufer / Karin Schnebel / Florian Wenzel: Politik wagen Ein Argumentationstraining, Wochenschau Verlag, Bonn 2016
Vielen von Ihnen dürften das äußerst erfolgreiche „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“ aus dem Jahr 2000 und der Nachfolgeband „Argumente am Stammtisch: Erfolgreich gegen Parolen, Palaver und Populismus“ des Jahres 2006 noch in guter Erinnerung sein.
Didaktische Grundlage des empfehlenswerten neuen Bandes „Politik wagen Ein Argumentationstraining“ ist das Instrument des „Werte- und Entwicklungsquadrates“ aus der Kommunikationspsychologie (Anlehnung an Friedemann Schultz von Thun). Hiermit werden gängige Stammtischparolen analysiert, die in diesem Kontext als verabsolutierte und selbstgerechte Werte interpretiert werden. Im Band wird der manchmal wahre Kern der Stammtischparolen nicht verschwiegen, jedoch in seiner selbstgerechten und abwertenden Übertreibung klar abgelehnt. Quasi nebenbei wird dabei indirekt erklärt, wie Politik im Innersten funktioniert. Hierzu Christian Boeser Schnebel:
„Am Stammtisch wird traditionell viel über Politik gesprochen, oft mit Kompetenz und dem ernsthaftem Bemühen, Politik besser zu verstehen. Oft aber werden auch nur Stammtischparolen ausgetauscht, man verharrt in dumpfer Selbstgerechtigkeit und lässt sich gar nicht erst auf das Wagnis Politik ein.
Stammtischparolen sind nicht nur in Gasthäusern, sondern auch in Cafés, Kantinen, an familiären Esstischen und an vielen anderen Orten zu finden. Platte, aggressive, selbstgerechte und populistische Äußerungen über Politik und Politiker bleiben dabei oftmals unwidersprochen, nicht selten bekommen sie Beifall. Ein derartiges Gespräch auf Stammtischniveau aber hat Konsequenzen für Politik und Gesellschaft: Wenn Politik verachtet wird und Politiker/-innen lächerlich gemacht werden, dann vergiftet dies die politische Kultur. Damit verbunden ist auch eine größer werdende Distanz zwischen Berufspolitiker/-innen und Bürger/-innen: Empirische Befunde und die sinkenden Wahlbeteiligungen zeigen, dass sich immer mehr Menschen von der (Partei-)-Politik abwenden. Allerdings gibt es auch eine zunehmende Bereitschaft zu gesellschaftlichem Engagement. Neue Formen der Partizipation und des politischen Handelns werden gesucht und gefunden. Doch das Problem bleibt: Demokratie kann ihre Potenziale nur begrenzt nutzen, wenn das Verhältnis zwischen Bürger/-innen und (Berufs-)Politiker/-innen gestört ist und wenn nicht beide zusammen Politik wagen.
Die politische Urteilsfähigkeit der Bürger-/innen ist das Lebenselixier der Demokratie. Dazu zählt auch, die Arbeit von Politiker/-innen realistisch ein- und durchaus auch wertzuschätzen und Politiker/-innen nicht mit Stammtischparolen herabzuwürdigen. Andererseits müssen auch Politiker/-innen aufhören, Stammtischparolen zu bedienen oder selbst Stammtischparolen zu verwenden. Letzteres ist beispielsweise der Fall, wenn am Wahlabend von unterlegenen Parteienvertreter/-innen verkündet wird, „die Menschen draußen im Lande“ hätten sie nicht verstanden. Die (oft unausgesprochene) Stammtischparole hinter diesem Statement lautet: „Mit diesem Volk ist kein Staat zu machen!“ Ein ernsthafter Dialog mit den Bürger/-innen ist auf diese Weise nicht möglich.
Kritik ist in einer Demokratie so wichtig wie die Luft zum Atmen. Aber wenn die Bürger/-innen ernst genommen werden wollen und mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten möchten, sollten sie sich nicht platter Parolen bedienen, sondern mit Verstand und guten Argumenten für eine demokratische politische Kultur streiten.
Das vorliegende Argumentationstraining kann hierfür einen Beitrag leisten, indem es hilft, die eigene politische Urteilsfähigkeit weiterzuentwickeln und die individuelle politische Handlungsfähigkeit auszubauen. Es soll nicht bekehren oder besserwisserisch mit belehrenden Äußerungen gegen Stammtischparolen vorgehen. Vielmehr greift es Stammtischparolen auf, um zunächst die dahinter liegenden Enttäuschungen, Frustrationen und die damit verbundene Wut zu verstehen und ernst zu nehmen, und zu einem höheren Diskussionsniveau über Politik und Politiker zu kommen. Auf diese Weise kann letztlich jedes Alltagsgespräch über Politik und damit auch der Stammtisch selbst ein Anlass sein, Politik zu wagen.“ (S. 7f.)
Der ermutigende Ansatz „Politik (zu) wagen“ verdient volles Lob und das Buch kann sinnvolle Anregungen für den Umgang mit Stammtischparolen im Unterricht bieten. Besonders positiv hervorzuheben sind die kategorialen Unterscheidungen (Stammtischparolen über 1) das politische System 2) über den politischen Prozess und 3) über Akteure und 4) über Institutionen.
Lesetipp:
Vorbemerkung: Über das Recht, (un)politisch, und die Notwendigkeit, politisch zu sein (S. 11-17)
Interventionsmöglichkeiten gegen Stammtischparolen (S. 87-112)
Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens?
Eine Debatte der politischen Bildung
Der "Beutelsbacher Konsens" ist ein zentrales Leitbild der politischen Bildung. Der Band bewertet die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des 1977 formulierten Konsenses neu. Außerdem werden aktuelle Fragen zur Interpretation, Funktion und Bedeutung des "Beutelsbacher Konsenses" diskutiert.
Herausgeber: Benedikt Widmaier / Peter Zorn, Seiten: 368, Erscheinungsdatum: 16.11.2016, Erscheinungsort: Bonn, Bestellnummer: 1793
In der Einleitung des Bandes blickt Hans-Georg Wehling auf den Beutelsbacher Konsens aus dem Jahr 1977 zurück. Neben der Rezeptionsgeschichte werden im von Widmaier und Zorn herausgegebenen Band, der auf eine Fachtagung im Jahr 2015 zurückgeht, in den 33 folgenden Einzelbeiträgen sehr unterschiedliche Ansätze zur Bewertung des damaligen Konsens eingenommen und auch aktuelle Modifikationshinweise angebracht, die zur kritischen Debatte auffordern wollen.
Sven Röslers Verriss der „Blödmaschine Beutelsbach“ sieht in einer entpolitisierten Urteilsbildung auch eine Form der Indoktrination, da – so auch andere Kritiker – die Zielvorstellung der Mündigkeit und Aufklärung aufgegeben werde.
Michael May betont in seinem Beitrag „Die unscharfen Grenzen des Kontroversitätsgebots und des Überwältigungsverbots“ hingegen den Wert des Beutelsbacher Konsens als Hilfsmittel für die Unterrichtsplanung, - durchführung und auch –nachbereitung.
In der Praxis treten aber sehr relevante Probleme auf: Soll man demokratiefeindliche und menschenabwertende Positionen bei der Unterrrichtsplanung einbeziehen? Wie sollen Lehrkräfte agieren, wenn menschenverachtende Äußerungen während des Unterrichts fallen? Sollen unterrepräsentierte politische Positionen in der Unterrichtsplanung repräsentiert werden? Soll der Lehrende Neutralität wahren und seine politische Position zurückhalten? Wie sollen Lehrende mit dem Spannungsverhältnis zwischen der Gewährung jedweder politischer Positionen und der Orientierung auf Demokratie und Menschenrechte umgehen?
Lesetipp:
Antworten auf diese relevanten Fragen gibt Michael May in seinem lesenswerten Artikel „Die unscharfen Grenzen des Kontroversitätsgebots und des Überwältigungsverbots“ (S. 233-241)
Das besondere Buch:
Andreas Rödder: 21.0 Eine kurze Geschichte der Gegenwart, München 2015
Wann kommt es schon einmal vor, dass sich die Rezensenten der FAZ, des Handelsblattes, der Neuen Züricher Zeitung und mindestens einem Dutzend weiterer Zeitung einig sind in ihrem geradezu überschwänglichen Lob eines ungewöhnliches Buches, das binnen kurzer Zeit schon in mehreren Auflagen vorliegt und - das ist für die Lehrer- wie Schülerbibliothek besonders erfreulich - zu einem geringen Unkostenbeitrag über die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg bezogen werden kann.
Andreas Rödders kurzweiliges und gut lesbares Werk versucht das nahezu Unmögliche: einen Crashkurs durch die Probleme der Gegenwart (z. B. Digitalisierung, Gleichstellung, Klimawandel) verbunden mit einem Blick in die Zukunft. Dabei diskutiert er, was wirklich neue Probleme sind und welche eher auf älteren Entwicklungen aufbauen. Im Unterschied zu anderen Darstellungen löst er die klassische Chronologie auf und lädt den Leser zur zeitdiagnostischen und politischen Debatte ein. Dabei wagt er einen globalen Ansatz der Deutung der postmodernen Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit ihren widersprüchlichen Tendenzen und Veränderungen aus der Perspektive unterschiedlicher Bezugsdisziplinen, die sich an Max Webers Kategorien (Staat und Politik, Wirtschaft, Gesellschaft) orientiert.
Was ist nach 1990 aus der Freiheit des Westens geworden? Wie genau haben sich Digitalisierung und Globalisierung auf das Denken und die politische Kultur ausgewirkt? Ist Deutschland zu groß für Europa? Bedroht der Kapitalismus die Demokratie? Zudem geht es um Global Economy, Trends zur Weltzivilisation, Probleme des Staats und des Großexperiments EU und nicht zuletzt auch um weitere Dimensionen von Weltpolitik. Zur Krise der europäischen Demokratie lesen wir beispielsweise: „Das Hauptproblem für die Demokratie liegt in der Verlagerung von Souveränität auf internationale Exekutiven ohne eine dem Nationalstaat vergleichbare Legitimation zum einen und in der Abhängigkeit von den Finanzmärkten aufgrund übermäßiger Staatsverschuldung zum anderen.
Insbesondere betont er in einem durchaus optimistischen Duktus auch die nicht-beabsichtigten Folgen von Veränderungen und damit letztlich auch die Offenheit der Zukunft. „Nur wer offen ist, dass alles auch ganz anders sein mag als gedacht, kann die Chancen des Unvorhersehbaren nutzen“; das ist das Credo der „kurzen Geschichte der Gegenwart“ des in Mainz lehrenden Historikers Andreas Rödder, der ideengeschichtlich auf Aristoteles verweisen kann, der uns lehrte, dass wir uns beim Blick in die Zukunft darauf einstellen sollten, dass das Unwahrscheinliche passiert.
Lesetipp:
Wer regiert die Welt (S. 362-376), Weltgesellschaft oder Machtspiel? (S. 376-378)
Resümierende Überlegungen (S. 379-392)
Literaturempfehlungen Bundeszentrale für politische Bildung
(bearbeitet von Dietmar Schug, RFB Sk)
Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands Schriftenreihe (Bd. 1441)
Herausgeber: Steffen Mau / Nadine M. Schöneck, Seiten: 1044, Erscheinungsdatum: 16.12.2014, Erscheinungsort: Bonn, Bestellnummer: 1441 > 7,00 €
Die Gesellschaft Deutschlands verändert sich stetig. Soziale Prozesse spielen bei dieser dynamischen Entwicklung ebenso eine Rolle wie politische Entscheidungen, kulturelle Einflüsse oder ökonomische Weichenstellungen. Dieses Handbuch nimmt in 70 Artikeln zentrale Begriffe und Aspekte der gesellschaftlichen Ordnung in Deutschland unter die Lupe: Alter und Arbeitsmarkt, Bildung, Gesundheit, Lebensqualität, Migration, Mobilität, Gesundheit und viele andere. Es zeichnet ihre sozialgeschichtliche Entwicklung nach und fragt ihrem Stellenwert in Gegenwart und Zukunft. Zahlreiche Tabellen und Grafiken bereichern das Buch. In der nunmehr dritten, grundlegend überarbeiteten Auflage wendet es sich an Nutzende in Lehre, Studium und Praxis.
In Anlehnung an den berühmten Vorgänger von Bernhard Schäfers und Wolfgang Zapf wurden sämtliche Autoren – zumeist Soziologen - gebeten, „ihren Beitrag jeweils mit einer Definition und Abgrenzung des behandelten Themas zu beginnen, dann zentrale sozialgeschichtliche Entwicklungslinien nachzuzeichnen, daraufhin die gegenwärtige und prognostizierte sozialstrukturelle Ausprägung abzuhandeln und schließlich die gesellschaftspolitische Relevanz ihres Gegenstandes zu thematisieren.“
Herausgekommen ist eine Gesamtschau auf über 1000 Seiten, die grundlegende fachwissenschaftliche Zugänge zu den zentralen soziologisch akzentuierten Teilthemen der Jahrgangsstufe 11 ermöglicht. Vgl. etwa Einkommen und Vermögen (213-230) / Gerechtigkeit (286-299) / Gesellschaftsmodelle und Gesellschaftsanalyse (331-343) / Gleichstellung (362-375) / Globalisierung (376-388) / Migranten (S. 580-592) / Soziale Ungleichheiten. Klassen und Schichten (S. 774-787) / Sozialer Wandel. Gesellschaftliche Entwicklungstrends (S. 788-802) / Sozialstruktur (S. 830-843) / Werte und Wertewandel (S. 936-948)! Darüber hinaus werden auch einige politikwissenschaftliche Akzentuierungen der Gesamtfragestellung berücksichtigt.
Länderbericht China: Schriftenreihe (Bd. 1501)
Herausgeber: Doris Fischer/ Christoph Müller-Hofstede, Seiten: 1027, Erscheinungsdatum: 01.12.2014, Erscheinungsort: Bonn, Bestellnummer: 1501 > 4,50 €
Die Volksrepublik China ist längst zur Weltmacht aufgestiegen. Entwicklungen und Entscheidungen in China wirken sich spürbar in anderen Ländern auf allen Kontinenten aus – nicht zuletzt in Deutschland. Heute lässt sich keine globale Frage mehr ohne die Mitwirkung Chinas lösen. Elementare Kenntnisse der geschichtlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Grundlagen Chinas werden immer wichtiger, in Politik und Wirtschaft ebenso wie in Schulen und Universitäten. China ist aber nicht nur immer "wichtiger" geworden, sondern auch zunehmend komplexer: Hartnäckig entzieht es sich vorschnellen Bewertungen. Mehr denn je ist Perspektivenwechsel und genaues Hinschauen gefragt. Hierzu will der grundlegend überarbeitete, durch Bild- und Grafikmaterial sowie um eine ausführliche Chronologie und ein Personenverzeichnis erheblich erweiterte Länderbericht China beitragen.
Seit dem Erscheinen des letzten Länderberichts China sind gerade einmal 7 Jahre vergangen und doch mussten nahezu alle Texte des Handbuchs aufgrund der offenen Dynamik Chinas neu verfasst werden. Angesichts des unaufhaltbaren Aufstiegs zur Weltmacht und der Tatsache, dass sich heute „keine einzige globale Frage mehr ohne China und ohne die Mitwirkung Chinas lösen“ lässt, sind elementare Kenntnisse der materiellen und historischen Grundlagen Chinas auch im Unterricht zunehmend wichtig. Aus Sicht der Herausgeber „skizzieren die Aufsätze grundlegende Entwicklungen und stellen Orientierungswissen bereit, das helfen kann, auch das aktuelle und zukünftige Geschehen in China besser einzuordnen.“ Hierbei handelt es sich in Anbetracht der immer komplexer werdenden Entwicklungen um ein anspruchsvolles Vorhaben.
Die Autoren erkennen u. a. die Suche nach einem neuen Wachstumsmodell, das gesellschaftliche Stabilität gewährleistet. Bezüglich des außenpolitischen Agierens resümieren sie kritisch: „Es wird (…) deutlich, dass China seine Ansprüche als neue aufsteigende Großmacht selbstbewusster und in den Augen seiner asiatischen Nachbarn vor allem auch aggressiver als bisher formuliert.“
Mittels des eigenen Kartenteils, eines umfangreichen Personenverzeichnisses und einer vielschichtigen Chronologie wird die Nutzung des Handbuches erleichtert; ein Stichwortregister fehlt leider.
Im Anschluss an die Darstellung dieser Grundlagen werden die Bereiche Recht und Politik, Gesellschaft / Wirtschaft und China und die Welt in verschiedenen Einzelartikeln kategorial thematisiert (inklusive zahlreicher ansprechender Visualisierungen!). Pointierte Einleitungen und Abschlussausführungen ermöglichen eine schnelle Erstorientierung.
Von besonderem Interesse für den Politikunterricht sind die folgenden Artikel:
- Lernfähiger Leninismus? Das politische System der Volksrepublik China (Sarah Kirchenberger > S. 251-288)
Die Autorin ordnet Chinas Regierungssystem dem Typus der leninistischen Parteistaaten (vgl. auch Nordkorea, Vietnam und Kuba) zu. Obgleich das politische System seit 1989 extreme Schwierigkeiten überstehen und externe Schocks verkraften musste, habe sich der chinesische Parteistaat als durchaus lernfähiges System erwiesen, das sich durch experimentelle Vorgehensweisen ausweise. Hierbei werde aber auch bei den gerade beschlossenen Reformen der Führungsanspruch der Partei, die unter einem ungeheuren wirtschaftlichen Erfolgsdruck stehe, keinesfalls angetastet.
- Menschenrechte in der Volksrepublik China: Fortschritte, Defizite, Herausforderungen (Kerstin Shi-Kupfer > S. 327-354)
Shi-Kupfer konstatiert eingangs, dass sich mittlerweile ein starkes Rechtsbewusstsein in der Bevölkerung konstituiert habe, sodass die Einhaltung der Menschenrechte auch innergesellschaftlich gefordert würde. Sehr anschaulich werden im Beitrag ausgewählte Urteile gegen Bürgerrechtler mit Bezug auf das chinesische Strafrecht und Daten und Ereignisse der Bürgerrechtsbewegung in China seit 2002 tabellarisch dargestellt.
Gemessen am historischen Maßstab zeigt sich in China eine durchaus positive Entwicklung; ein deutlich kritischeres Bild ergibt sich allerdings, wenn man die von der chinesischen Regierung geschaffenen Gesetze kategorial untersucht (zum Beispiel Recht auf Existenz und Entwicklung / Aufbau eines „sozialistischen Rechtsstaats“ / Aktivitäten im Bereich der Menschenrechtsdiplomatie). Ursächlich hierfür sind mehrere Faktoren:
„Die der Partei untergeordnete Autorität der Verfassung und die daraus folgende mangelnde Unabhängigkeit der Justiz sowie das Fehlen autonomer Interessenvertretungen sind Haupthindernisse für eine Realisierung der Menschenrechte. Entsprechende Reformen sind jedoch bis dato nicht erkennbar. Die jüngsten Entwicklungen deuten eher auf eine Verhärtung des politischen Systems hin.“ (S. 349)
- Sozialer Wandel und gesellschaftliche Herausforderungen in China (Björn Alpermann > S. 397-434)
Nach Ansicht des Autors ist die chinesische Regierung „bemüht, durch begrenzte Reformen und neue sozialpolitische Maßnahmen den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu festigen. Davon zeugt u. a. ihr ideologisches Leitbild einer „harmonischen Gesellschaft“(…). Auf dem Spiel steht dabei nicht zuletzt ihre eigene politische Legitimität, da die Verbesserung der Lebensverhältnisse für die Regierende Kommunistische Partei (KP) zu einem wichtigen Stützpfeiler ihrer Herrschaft geworden ist.“ (S. 397)
Alpermann betrachtet die Legitimität des Systems aber als partiell gegeben (noch bestehe die weit verbreitete Ansicht, dass man gesellschaftlich und wirtschaftlich aufsteigen könne) und setzt keine Hoffnung auf die im Westen häufig unterstellte Rolle neuer Mittelschichten für einen Systemwechsel hin zur Demokratie. Angesichts zunehmender gesellschaftlicher Disparitäten (Einkommensverteilung / Privilegien der Mächtigen etc.) kommt aber einer kompensatorischen Sozialpolitik eine enorm hohe Bedeutung zu. Problematische Entwicklungen (Rolle der Regierung in den Bereichen Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit / steigende Immobilienpreise und Korruptionsbekämpfung) erfordern daher eine Anpassungsfähigkeit des Systems an veränderte gesellschaftliche Bedingungen und Bedürfnisse.
- Wirtschaftliche Entwicklung und ordnungspolitischer Wandel in der Volksrepublik China seit 1949 (Markus Taube > S. 645-680)
Die wirtschaftliche Entwicklung in China ist nach Ansichts des Autors durch mehrfache ideologische wie ordnungspolitische Paradigmenwechsel und ökonomische Strukturbrüche gekennzeichnet, was Auswirkungen im Hinblick auf entwicklungspolitische Kurswechsel und die Verhältnisbestimmung Staat und Unternehmen hatte. Im Rückblick auf 6 Jahrzehnte wirtschaftlicher Entwicklung und ordnungspolitischen Wandel lasse sich die zentrale Rolle (S. 677) „ideologischer Leitbilder für die Entfaltung wirtschaftlicher Potentiale“ erkennen. Taube konstatiert, dass das inzwischen erreichte Entwicklungsniveau eine Neuausrichtung der Volkswirtschaft erfordere und bilanziert auf S. 678: “Ob diese erfolgreich verlaufen wird, bleibt offen. Nicht zur Debatte steht jedoch mittlerweile die grundsätzlich marktwirtschaftliche Orientierung der chinesischen Wirtschaft.“
- Chinas Aufstieg in der internationalen Ordnung (Christoph Müller Hostede > S. 807-840)
Der Autor greift eingangs die Kontroversen um die zukünftige Rolle Chinas im 21. Jahrhundert auf und stellt zunächst die Erlangung einer „Systemrelevanz“ der aufstrebenden asiatischen Macht heraus, was bisher noch keinem nicht westlichen Land im 21. Jahrhundert gelungen sei. Deshalb werde China die Weltordnung des 21. Jahrhunderts „maßgeblich beeinflussen“.
Seine abschließende Bilanz der „Integration Chinas in die Welt“ fällt ambivalent aus, da neben wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtungen auch auf die zunehmende Bedeutung des Nationalismus im Kontext der Machtsicherungsstrategien verwiesen werden müsse. Der von der chinesischen Regierung in diesem Kontext häufig gebrauchte Begriff der „Renaissance Chinas“ verschweige, „auf welchen Zustand Chinas in seiner langen Geschichte sich die Renaissance eigentlich beziehen soll. Da es ein China, das sich als gleichberechtigte Nation unter anderen Nationen verstanden hat, in der Vergangenheit eben nicht gegeben hat, bleiben offene Fragen, was die chinesische Führung mit diesem geschichtsphilosophisch aufgeladenen Projekt in der Welt des 21. Jahrhunderts bezweckt."
Vehement wehrt sich der Autor gegen aus seiner Sicht allzu alarmistische Bedrohungsszenarien (vgl. S. 810f.), die China als nahezu widerspruchsfreien Konkurrenten im Kampf der Systeme sehen und dabei zentrale Schwächen (Armut / soziale Ungleichheit / Grenzen des Wachstumsmodells / zunehmende Rolle weiterer staatlicher und nicht staatlicher Akteure im internationalen System etc.) übersehen.
· „China ist seit dem Jahr 2010 zur zweitgrößten Wirtschaft der Welt nach den USA geworden (…). Schon 2016 könnte das Land die Europäische Union hinter sich lassen, 2017 auch die USA.
· China ist die zweitgrößte Handelsnation und der mit Abstand wichtigste Industriestandort, die „Werkbank der Welt“.
· China besitzt über 20 Prozent der Schuldverschreibungen der US-Regierung; seine Devisenreserven steigen weiter stark an. Immer mehr Anleger wollen in die chinesische Währung, den Renminbi, investieren.
· China verbraucht mehr Energie als jedes andere Land der Welt und beeinflusst die wichtigsten Rohstoffmärkte.
· China hat nach den Vereinigten Staaten die höchsten Rüstungsausgaben der Welt (…) und baut seine militärischen Fähigkeiten laufend aus.
· Im UN-Weltsicherheitsrat hat China als Atommacht einen ständigen Sitz und Vetorecht. China ist heute Mitglied in fast allen internationalen Organisationen, so seit 2001 auch in der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO).“ (S. 808)
Seine abschließende Bilanz der „Integration Chinas in die Welt“ fällt ambivalent aus, da neben wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtungen auch auf die zunehmende Bedeutung des Nationalismus im Kontext der Machtsicherungsstrategien hingewiesen werden müsse.
- USA – China – EU: Chancen für ein strategisches Dreieck? (Hanns W. Maull: > S. 841-888)
Maul fragt in seinem perspektivischen Beitrag (S. 841), „ob und wie sich China in eine internationale Ordnung einbringen kann, die bislang wesentlich von den USA und Europa geschaffen und getragen wurde.“ Der Autor grenzt sich deutlich vom vorherrschenden Diskurs der Machtverschiebung von der Weltmacht USA auf die Weltmacht China ab, indem er betont, dass der Faktor Machtdiffusion eine zentrale Rolle in der internationalen Ordnung des 21. Jahrhunderts spielen werde. Im Hinblick auf die von ihm gewünschte Etablierung einer Triade Amerika, China und Europa als „Kern einer neuen, tragfähigen internationalen Ordnung“ (S. 842) macht er insbesondere traditionelle Souveränitätsvorstellungen und den Primat der Innenpolitik als zentrale Hindernisse (S. 844) aus: „Auf diesem Weg zu einer Neubestimmung nationalstaatlicher Souveränität ist Europa Vorreiter, Amerika und China dagegen agieren außenpolitisch noch auf der Grundlage von Souveränitätskonzepten des industriellen Zeitalters, das inzwischen bereits einem neuen, postindustriellen Zeitalter Platz zu machen begonnen hat.“ Für allzu viel Hoffnung gäbe es jedoch keinen Anlass (S. 845), denn „(l)eider sieht die Realität derzeit (…) anders aus: Faktisch treibt die internationale Ordnung auf eine bipolare Achse Amerika – China zu, weil Europa nur unzureichend handlungs- und gestaltungsfähig ist.“ Positiver fällt sein Gesamturteil nur bezüglich der EU-Bilanz in der internationalen Klimapolitik aus. Folgerichtig bilanziert er (S. 884) skeptisch: „Tatsächlich erscheint das postmoderne Souveränitätsverständnis (…) den Gegebenheiten einer interdependenten, globalisierten Welt besser angemessen zu sein als die nationalstaatlich fixierten Sicherheitskonzepte der Vereinigten Staaten und Chinas. Die auf diesen beruhenden außenpolitischen Identitäten und Rollenkonzepte engen die Chancen einer wirksamen internationalen Ordnungspolitik empfindlich ein. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Eine effektive internationale Ordnung kann wohl erst dann entstehen, wenn sowohl die USA als auch China ihre außenpolitischen Identitäten und ihre darauf aufbauenden Rollenkonzepte fundamental überdenken und neu konstruieren. Für die Volksrepublik China kommt hierbei erschwerend hinzu, dass deren außenpolitisches Souveränitätskonzept eng mit dem Herrschaftsanspruch der Kommunistischen Partei verwoben ist.“
Chronik Deutschland 1949-2014: 65 Jahre deutsche Geschichte im Überblick (Schriftenreihe Bd. 1488
Herausgeber: Der neue Fischer Weltalmanach, Seiten: 480, Erscheinungsdatum: 09.10.2014, Erscheinungsort: Bonn, Bestellnummer: 1488 > 4,50 €
65 Jahre deutsche Geschichte: Die doppelte Staatsgründung, der Mauerfall, das Ende der Teilung Deutschlands und Europas sowie die Bundestagswahl 2013 bilden den politischen Rahmen für bewegte Jahrzehnte. Sie werden in diesem Buch chronologisch in knapper, doch reich illustrierter Form präsentiert. Die Chronik Deutschland 1949 – 2014 ist ein faktenreiches Nachschlagewerk mit den bedeutendsten Ereignissen in Ost und West, Kurzbiografien der wichtigsten Amtsträgerinnen und Amtsträger, Kabinettslisten der Bundeskabinette und der Regierung der DDR sowie allen Wahlergebnissen auf Bundes- und Länderebene.
Ein zuverlässiges Standardwerk zur schnellen Erstorientierung, das in keiner Schulbibliothek fehlen sollte! Neben den allgemeinchronistischen Ausführungen werden sämtliche Kabinette, Kanzler, Staatsratsvorsitzende und Bundespräsidenten vorgestellt. Der abschließende Kartenteil (Landtagswahlergebnisse / Bundesländer im Vergleich) und das sehr umfangreiche Register garantieren eine einfache unterrichtliche Einsetzbarkeit.
Demokratie
Autor: Stefan Marschall, Seiten: 125, Erscheinungsdatum: 14.05.2014, Erscheinungsort: Bonn, Bestellnummer: 1426> 4,50 €
Was ist Demokratie? Nicht viele politische Ideen haben solch alte Wurzeln oder eine vergleichbare Anziehungskraft. Zugleich aber ist der Begriff Demokratie interpretierbar und damit anfällig für die Indienstnahme durch Akteure an den Rändern des politischen Spektrums. Stefan Marschall stellt die Demokratie und ihre Denker von den Ursprüngen in der Antike bis hin zu post-demokratischen Modellen des 21. Jahrhunderts vor. Er analysiert die Varianten des modernen demokratischen Verfassungsstaats, fragt nach Gegenbewegungen zur repräsentativen Demokratie, nach der Rolle der Demokratie in der Europäischen Union und nach der Zukunftsfähigkeit demokratischer Regierungsformen.
Gibt man das Stichwort Demokratie in der Deutschen Nationalbibliothek ein, so wird der wissbegierige Leser auf über 10 000 Bücher und Zigtausende Zeitschriftenaufsätze verwiesen.
Stefan Marschalls Verdienst ist es, in einem kleinen Buch eine Schneise durch zahlreiche Ebenen, Bedeutungsvariationen und Kontroversen des Demokratiebegriffs geschlagen zu haben, die den interessierten Leser zu neuen Erkenntnissen führen kann. Aufgrund der kursiven Einführungstexte und der knappen kapitelspezifischen Literaturtipps werden weiterführende Recherchen geschickt angeleitet.
Der Autor verdeutlicht in seinen „Annäherungen an ein unscharfes Konzept“, dass der Demokratiebegriff über die Zeiten eine „erhebliche Ausweitung“ (S. 13) erfahren hat: „Der Demokratiebegriff mag seine Wurzeln im Politischen haben, seine Äste hat er jedoch weit in andere gesellschaftliche Bereiche ausgestreckt.“ Überzeugend arbeitet er heraus, dass die Lincolnsche Demokratie-Formel sich gut dazu eignet, um relevante Fragen – auch des Politikunterrichts - zu beantworten, denn dem Leser würde die Komplexität des Demokratiebegriffs bewusst gemacht und es würden zudem Fragen aufgeworfen, die die Demokratietheorie zu beantworten habe. „Aus der „Volksherrschaft“ wird die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk. So wird Demokratie weiter konturiert, zugleich tauchen aber auch neue Fragen auf:
1) Regierung des Volkes: Demokratie wird in dieser Dimension erfasst als eine Herrschaft, die im Volk wurzelt, aus dem Volk heraus entsteht und in diesem ihre legitimatorische Basis findet. Aber: Was und wer genau ist unter „demos“ zu verstehen (…)? Steht hinter dem Volksbegriff ein ethnisches Verständnis von Volk oder das Konzept vom „Staatsvolk“ (…)? Hiermit wird die zentrale und auch heute noch relevante Inklusionsfrage aufgeworfen (…): Wer gehört zum Volk, und wer ist warum ausgeschlossen?
2) Regierung durch das Volk: Das Volk ist in der Demokratie nicht nur der Ursprung der Regierung, sondern am Regieren beteiligt. Es ist nicht ein bloßes Objekt staatlichen Handelns, sondern ebenso ihr Subjekt. Welches Ausmaß und welche Form seine Beteiligung an der Herrschaft annehmen kann (…) lässt die Formel offen. Dies sollte aber zu einer der entscheidenden Demokratiefragen werden (…).
3) Regierung für das Volk: Die Regierung soll ihr Handeln auf das Volk ausrichten. (…) Gleichwohl: Was „dient“ dem Volk als Ganzem? In diesem Zusammenhang wird das Konzept des Gemeinwohls bemüht – mit all seiner konzeptionellen Unschärfe (…).“
Generell positiv zu würdigen ist es, dass es Marschall nicht bei einer Bezugnahme auf die ideengeschichtlichen Klassiker belässt, sondern auch aktuelle postdemokratische Modelle des 21. Jahrhunderts berücksichtigt, die ja mittlerweile auch – vgl. etwa Colin Crouch – in aktuelle Politikbücher integriert werden. Methodenkritisch fragt er auch nach den Möglichkeiten und Grenzen der Demokratiemessung und resümiert (S. 78): „Die Suche nach dem „Stein des Weisen“ in der Demokratieforschung scheint (…) weiterzugehen.“ Sein Blick ist dabei nicht nur auf den Systemwechsel von einem autoritären System zu einer Demokratie hin ausgerichtet, sondern auch auf die Transformation in die andere Richtung („breakdown of democracies“). Auch das in einige aktuelle Schulbücher schon integrierte Konzept der „defekten Demokratie“ (Wolfgang Merkel) zur Kennzeichnung hybrider Systeme (vgl. etwa die Debatte um die angemessene Einstufung Russlands) spielt eine Rolle.
Im pointierten Schlusskapitel formuliert er die Doppelfrage nach der Zukunft der Demokratie und der Demokratie der Zukunft. In Anlehnung an Robert Dahl werden zunächst drei Spielarten der Demokratiekritik (S. 101) kategorisiert:
„1) Kritik, die sich fundamental gegen die Demokratie wendet, weil sie davon ausgeht, dass Demokratie zwar möglich, aber grundsätzlich nicht wünschenswert ist. Solche Kritik lehnt die Grundwerte der Demokratie ab und stellt ihr andere Leitkategorien und ein alternatives Welt- und Menschenbild gegenüber. Bei dieser Variante handelt es sich somit um „Ideologiekritik“. (> Anarchismus / Platons Philosophenherrschaft / Leninismus mit dem Ansatz der Vorhut der Arbeiterklasse etc.)
2) Kritik, die die Demokratie als erstrebenswert, aber nicht real beschreibt. Die Grundwerte der Demokratie werden zwar geteilt, ihre Umsetzbarkeit allerdings in Frage gestellt.
3) Kritik, die die Demokratie als wünschenswert und in weiten Teilen umsetzbar ansieht, aber die konkrete Realisierung in verschiedenen Hinsichten als suboptimal einstuft. Diese Defizite könnten allerdings durch Reformen geheilt werden.
Wer es genauer wissen möchte, der wird dann auf Wolfgang Merkels 22(!) Einwände gegen die demokratische Regierungsform verwiesen. Natürlich darf auch eine Auseinandersetzung mit der gerade in Deutschland häufig aufgegriffenen Kritik des britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch nicht fehlen. Wenn das Versprechen der Demokratie (Partizipation / Repräsentation / Inklusion) nicht mehr eingehalten werden könne, so stelle sich auch die Frage nach der Zukunft der Demokratie (S. 104) neu: „Leben wir wirklich in einem demokratischen Zeitalter? Die Lage der Demokratie erscheint auf den ersten Blick ambivalent, wenn nicht sogar paradox. Zum einen hat „Demokratie“ als Idee immer noch eine starke Anziehungskraft. Zum anderen stößt ihre Konkretisierung in der Praxis moderner Politik an ihre Grenzen.“
Aus einer empirischen Perspektive heraus lehnt Marschall sowohl euphorisch-optimistische Zukunftsausblicke als auch die seiner Ansicht nach verfrühten Abgesänge auf die 2500 Jahre alte Demokratie als Staatsform gleichermaßen ab. Allerdings falle schon auf (S. 105), „dass sich der Fokus der modernen Demokratietheorie auf die Bewertung der Qualität von Politikergebnissen verschoben hat.“ Angesichts vielschichtiger und wandelbarer Rahmenbedingungen (z. B. Entgrenzung / Fragmentierung etc.) erfordere die Demokratie der Zukunft neue Attribute zur Kennzeichnung ihrer Spezifika.
Und wer jetzt auf den Geschmack demokratietheoretischer Diskurse gekommen sein sollte, der darf weitere Erkundungen mithilfe des enorm umfangreichen Literaturverzeichnisses auf einer soliden fachwissenschaftlichen Basis angehen.
Marschalls kleines, aber sehr ausgewogenes Büchlein sollte auch wegen seiner sehr guten Lesbarkeit und der didaktisierten Herangehensweise in keiner Lehrer- und Schülerbibliothek fehlen!
Salafismus: Auf der Suche nach dem wahren Islam
Autor: Behnam T. Said / Hazim Fouad, Seiten: 528, Erscheinungsdatum: 01.07.2014, Erscheinungsort: Bonn, Bestellnummer: 1454 > 4,50€
Was ist Salafismus? Was veranlasst Menschen mit und ohne autochthone Bindung an den Islam, sich vorbehaltlos und demonstrativ dieser religiösen Strömung zuzuwenden? Welche Lebensformen streben Salafisten an? Welche Ziele, welche Strategien einen oder trennen sie, und wie sieht ihr Verhältnis zum klassischen Islam, zur Moderne, zur westlichen Demokratie aus?
Dieser Sammelband beleuchtet das Phänomen Salafismus in großer thematischer Breite und unter Einbeziehung salafistischer Aktivitäten in Deutschland und Europa, in Ägypten, Saudi-Arabien, Libyen, Tunesien und der Türkei. Er setzt sich wissenschaftlich fundiert mit dem Religionsverständnis des politischen Salafismus ebenso auseinander wie mit der Ideologie gewaltbereiter, demokratiefeindlicher Bewegungen innerhalb des Salafismus. Nicht zuletzt fragt er nach den Konsequenzen, die das Phänomen Salafismus im 21. Jahrhundert für Politik und Gesellschaft aufwirft.
Ein extrem umfangreicher und multiperspektivischer Ansatz, den Salafismus systematisch zu analysieren, der durch die geschickte Integration zahlreicher Zitate und ein sehr differenziertes Stichwortverzeichnis auch im Oberstufenunterricht herangezogen werden kann.
Im sehr umfangreichen Einleitungskapitel erhält der Leser eine pointierte Gesamtschau der Einzelaufsätze geboten. Einige Artikel eignen sich auch gut zur Vorbereitung von Schülerpräsentationen:
- Behnam T. Said: Salafismus und politische Gewalt unter deutscher Perspektive ( S. 193–228)
- Nina Wiedl: Geschichte des Salafismus in Deutschland (S. 411-441)
- Claudia Dantschke: „Da habe ich etwas gesehen, was mir einen Sinn gibt.“ – Was macht Salafismus attraktiv und wie kann man diesem entgegenwirken? (S. 474-502)
Insgesamt wird deutlich, dass sehr unterschiedliche Strömungen innerhalb des fundamentalistischen Salafismus (Puristen / Politische Strömungen / Jihadisten) existieren, die sich keinesfalls auf eine Wertung als Dschihadisten reduzieren lassen. Auch die Kennzeichnung als „Steinzeit-Islam“ verkennt, dass Neuerungen der Moderne nicht pauschal abgelehnt werden. Zudem handelt es sich größtenteils um in Deutschland geborene Anhänger und Aktivisten, denen man keinesfalls einfach – wie manchmal in politischen Diskursen gefordert – die Grundrechte entziehen kann. Im Band wird gerade auch die jugendkulturelle Bedeutung des Salafismus (Ersatzfamilie / subkultureller Protest) herausgestellt: Zudem wird deutlich, dass sich Salafisten in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich zur Beteiligung am politischen Prozess positionieren. Nach Einschätzung der deutschen Verfassungsbehörden (S. 194) “greifen deutsche Jihadisten zu Gewalt und befürworten diese, während politische Salafisten eher darauf setzen, die Gesellschaft durch Mission und Propaganda langfristig zu beeinflussen, wobei Gewalt jedoch grundsätzlich Bestandteil ihrer Gedankenwelt sei.“ Insgesamt gelte:
„In nicht-muslimischen Ländern mit muslimischen Minderheiten, wie Deutschland, beharren die meisten Salafisten darauf, dass durch den bloßen Aufenthalt des Muslims in diesen Ländern eine Art Vertrag zustandegekommen ist, der auch die Friedenspflicht beinhaltet sowie die Pflicht sich an bestehende Gesetze zu halten, sofern sie nicht grundsätzlich den islamischen Regeln widersprechen.“(S. 222f..)
Deshalb werden auch wichtige Aufrufe relevanter Prediger zum Gewaltverzicht (inklusive der moralischen Pflicht des Anzeigens von Attentatsvorbereitungen! > vgl. S. 210f.) abgedruckt. Eine erschreckende Wahrnehmung Deutschlands aus der Sicht der Jihadisten hingegen offenbaren die Zitate auf S. 204f.!
Benham T. Said warnt abschließend vehement vor einer Gleichsetzung von Salafisten und Terroristen, denn „nur durch Differenzierung kann gewaltorientierten Salafisten, die sich gerne als verfolgte Muslime in Szene setzen und so an die Solidarität von Muslimen appellieren, der Boden ihrer Propaganda entzogen“ (S. 224) werden.
Migration und Integration in Deutschland: Begriffe – Fakten – Kontroversen
Herausgeber: Karl-Heinz Meier- Braun / Reinhold Weber, Seiten: 255, Erscheinungsdatum: 09.01.2014, Erscheinungsort: Bonn, Bestellnummer: 1389 > 4,50 €
Migration und Integration sind Schlüsselbegriffe für die Zukunft Deutschlands. Sie betreffen den demografischen Wandel der Gesellschaft ebenso wie ihren inneren Zusammenhalt, die Wirtschaftsentwicklung der Bundesrepublik ebenso wie ihre Innovationskraft. Das sind Gründe genug, um sich mit den Fakten, den Herausforderungen und Chancen von Migration und Integration auseinanderzusetzen. Dieses Buch informiert in mehr als 60 Beiträgen aus unterschiedlichen Disziplinen kurz und fundiert über Grundlagen und Geschichte, Begriffe und Konfliktfelder der Migration und Integration. Es stellt die Zuwanderergruppen vor und beleuchtet die deutsche Integrationspolitik mit ihren Akteuren und Instrumenten.
Ein nicht zuletzt für die notwendige unterrichtliche Auseinandersetzung mit der Pegida-Bewegung nützliches Buch! Besonders lesenswert sind das Einleitungskapitel „Deutschland Einwanderungsland“ des Herausgebers und das Schlusskapitel „Begriffe und Kontroversen“ mit grundlegenden Ausführungen zu den umstrittensten Aspekten der Integrationsdebatte.
Europa - Fakten und Zusammenhänge
Autor: Eckart D. Stratenschulte, Seiten: 216, Erscheinungsdatum: 18.06.2014, Erscheinungsort: Bonn, Bestellnummer: 3972 > 4,50 €
Frieden, Sicherheit, Verständigung: Die Europäische Union ist seit ihren Anfängen in den 1950er Jahren ein Erfolgsmodell. Im 21. Jahrhundert stehen ihr neue Herausforderungen bevor. Es gilt, die Finanz- und Schuldenkrise zu überwinden, die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu verhindern und die globale Migration zu gestalten. Dieser Band liefert Grundinformationen über die EU, ihre Ziele und Institutionen, um die Zukunft Europas gestalten können.
Ein gleichermaßen fachwissenschaftlich wie fachdidaktisch Überzeugender Band, mit dem sich sämtliche Aspekte der Thematik auch sehr gut in Leistungskursen (Klassensatz anschaffen!) thematisieren lassen!
Stratenschultes gut didaktisierter Band schließt jedes Einzelkapitel mit pointierten Schlussüberlegungen „Fünf Gründe, warum uns dieses Thema interessieren sollte:“. Mittels zahlreicher problemorientierter Leitfragen lassen sich zudem aktuelle Debatten sinnvoll in größere Zusammenhänge einordnen. Zur Veranschaulichung mag der Aufbau des sechsten Kapitels „Euroland in Europa“ dienen:
„Der Euro - gemeinsame Währung im Interessenstreit
1. Diskussionspunkt: Kam der Euro zu früh oder gerade rechtzeitig?
2. Diskussionspunkt: Währungsunion und „optimaler Währungsraum“
3. Diskussionspunkt: Viele Eurostaaten verstoßen gegen die Regeln (> Die Europäische Zentralbank)
4. Diskussionspunkt: Nimmt der Euro den Staaten die Flexibilität?
5. Diskussionspunkt: Haftung für die anderen (> Der Euro-Rettungsschirm)
6. Diskussionspunkt: Mehr Europa oder zu viel Europa? (> Der Euro-Plus Pakt / Bankenunion)“
Für Schülerpräsentationen eignen sich auch gut die komparativen Ländersteckbriefe im Anhang.
Ich hoffe, Ihnen mit meinen Dossiers praxisgerechte Hinweise zum Kompetenzerwerb auf Lehrer- wie auf Schülerseite geben zu können. Sollten Ihnen weitere interessante Publikationen oder Initiativen bekannt sein, die meiner umfangreichen Recherche ‚entgangen’ sind, so würde ich mich über Hinweise von Ihrer Seite freuen! Das gilt natürlich auch für zusätzliche Publikationen, die unsere Unterrichtsarbeit bereichern können!